Geschichten aus der Welt

Das Mädchen mit den Haifisch-Schläppchen

Eine herzerwärmende, nette Geschichte zu diesem Porträt wäre definitiv ein guter Verkaufsschlager. Jetzt noch etwas Nettes über die Landschaft und Gegend und es ergäbe ein rundes Bild. Inspirierend, und vielleicht macht sie Lust auf Reisen, auf Begegnungen. Doch dieses Porträt entstand, weil es etwas gibt, das mir nicht aus dem Kopf gehen mag.

Das kleine Mädchen mit den schwarz-funkelnden Augen und den Haifisch-Schläppchen. Sie steht vor einer unglaublich grünen Kulisse in Nordvietnam auf einer Aussichtsplattform. Sie trägt einen Korb mit Blumen und Kräutern auf dem Rücken. Und sie scheint kaum älter als 5 Jahre. Mit zusammengepressten Lippen, sodass man lediglich einen schmalen roten Strich erkennen kann, steht sie da und sieht mehr auf den Boden als auf die vorbeilaufenden Touristen. Irgendetwas wirkt hier fehl am Platz. Als wäre sie hier platziert worden, wie eine Blume in der Vase, um schön und besonders niedlich auszusehen, für die vorbeilaufenden Touristen, die für ein Foto hoffentlich etwas Geld dalassen und ihr Unwohlsein nicht zu bemerken scheinen. Ihre schüchterne Zurückhaltung nicht ernst nehmen, vielleicht übersehen?  

Es ist morgens, halb 10. Müsste sie nicht eigentlich in der Schule sein? Gibt es so etwas überhaupt in dieser Gegend? Zwei Mädchen laufen an ihr vorbei, neben dem roten Lippenstift tragen sie sogar einen Blumenkranz in den Haaren und machen Fotos mit Touristen. Ein Junge sitzt auf einem Stein und spielt Flöte. Ich schaue auf den Boden und sehe einen zerbrochenen roten Lipgloss in der Erde liegen. Ob das wohl ihrer war? Und wenn ja, warum hat sie ihn weggeworfen? Wo ihre Mutter wohl sein mag? Ob sie es wohl mag, hier zu stehen, um eine Touristenattraktion zu sein oder gibt es Dinge, die sie gerade lieber tun würde?
Ich trage selbst roten Lippenstift, gehe auf die Knie, zeige ihr, dass ich dieselbe Farbe auf den Lippen trage. Sie sieht mich mit ihren dunklen Augen an. Ich kann das Unwohlsein, das ich spüre, kaum aushalten. Ich wünschte, ich könnte ihr etwas geben, damit sie sich wohler fühlt, sie vielleicht zum Lächeln bringt. Mich beschleicht das Gefühl, dass gerade ich ein Teil des Problems bin, weshalb sie nicht lächelt. Also gehe ich weg von ihr, irgendwie traurig, mit ihrem Blick immer wieder vor Augen.

In Zukunft werde ich mir überlegen, wovon ich als Tourist Fotos mache, wofür ich mein Geld ausgebe und was und besonders, wer Teil der Attraktion ist. So entstand diese Zeichnung und der Wunsch, diese Geschichte zu erzählen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Kinder keine Touristenattraktionen sein sollten, egal in welcher Form. Ich schreibe in der Hoffnung, dass dieses Mädchen dennoch eine spielerische Kindheit genießen kann.  

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